04.10.2012

Hat Gott Seine Verheissungen erfüllt? - Teil 10

Wie jemandes Auslegung von Josua 21,43-45 seine Eschatologie beeinflusst – Teil III

Zu einem biblischen Verständnis von Josua 21,43-45. Teil 10.


In Hank Hanegraaffs Buch The Apocalypse Code ist ein geeignetes Fallbeispiel dafür zu finden, wie jemandes Auslegung von Josua 21,43-45 seine Eschatologie beeinflusst. Hanegraaff schreibt gegen die «christlichen Zionisten, die in der Tatsache, dass Jerusalem jetzt ganz in den Händen der Juden ist, einen Beweis der Wahrheit der Bibel sehen». Um seinen Standpunkt zu untermauern, verweist er auf 5. Mose 28-30: «Das moderne Israel erfüllt nicht die biblische Bedingung für die Rückkehr ins Land. Wie Mose die Kinder Israels eindeutig warnte (Hervorhebung hinzugefügt), würde Ungehorsam gegen den Herrn auf Zerstreuung hinauslaufen (5.Mo 28,58- 64; 29,23-28), während die Rückkehr in das Land Busse voraussetzt: ‹Wenn du umkehrst zu dem Herrn, deinem Gott, und seiner Stimme gehorchst in allem, was ich dir heute gebiete, du und deine Kinder, von ganzem Herzen und von ganzer Seele, so wird der Herr, dein Gott, dein Geschick wenden und sich über dich erbarmen und wird dich wieder sammeln aus allen Völkern, wohin dich der Herr, dein Gott, zerstreut hat› (5.Mo 30,2-3).» (S. 196-97; Hervorhebung im Original.)

Da Hanegraaff 5. Mose 30,2-3 als Teil seiner Begründung zitiert, sollte man den Kontext der Verheissungen Gottes in 5. Mose 30,1-8 bedenken, die zu einem unbekannten, zukünftigen Zeitpunkt erfüllt werden:

«Es wird aber geschehen, wenn alle diese Worte über dich kommen werden, der Segen und der Fluch, die ich dir vorgelegt habe, und du es dir zu Herzen nimmst unter all den Heidenvölkern, unter die dich der Herr, dein Gott, verstossen hat, und wenn du umkehrst zu dem Herrn, deinem Gott, und seiner Stimme gehorchst in allem, was ich dir heute gebiete, du und deine Kinder, von ganzem Herzen und von ganzer Seele, so wird der Herr, dein Gott, dein Geschick wenden und sich über dich erbarmen und wird dich wieder sammeln aus allen Völkern, wohin dich der Herr, dein Gott, zerstreut hat. Und wenn du auch bis an das Ende des Himmels verstossen wärst, so wird dich doch der Herr, dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen. Und der Herr, dein Gott, wird dich in das Land zurückbringen, das deine Väter besessen haben, und du wirst es in Besitz nehmen, und er wird dir Gutes tun und dich mehren, mehr als deine Väter. Und der Herr, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden, dass du den Herrn, deinen Gott, liebst von ganzem Herzen und von ganzer Seele, damit du lebst. Aber alle diese Flüche wird der Herr, dein Gott, auf deine Feinde legen und auf die, welche dich hassen und dich verfolgt haben. Du aber wirst umkehren und der Stimme des Herrn gehorchen und alle seine Gebote befolgen, die ich dir heute gebiete.»

Segen und Fluch in 5. Mose 27-28 hängen unmittelbar mit 5. Mose 30,1 zusammen: «Es wird aber geschehen, wenn alle diese Worte über dich kommen werden, der Segen und der Fluch, die ich dir vorgelegt habe …» Besonders relevant für diese Stelle ist der Fluch-Abschnitt, wo Jahwe offen das Exil für das ungehorsame Volk ankündigt:

«Und wie der Herr sich euretwegen zuvor freute, euch Gutes zu tun und euch zu mehren, so wird der Herr sich euretwegen freuen, euch zu verderben und euch zu vertilgen, und ihr werdet herausgerissen werden aus dem Land, in das du jetzt ziehst, um es in Besitz zu nehmen. Denn der Herr wird dich unter alle Völker zerstreuen von einem Ende der Erde bis zum anderen; und du wirst dort anderen Göttern dienen, die dir und deinen Vätern unbekannt waren, Göttern aus Holz und Stein. Dazu wirst du unter diesen Heiden keine Ruhe haben und keine Rast finden für deine Fusssohlen; denn der Herr wird dir dort ein bebendes Herz geben, erlöschende Augen und eine verzagende Seele» (5.Mo 28,63-65).

Da Hanegraaff zu 5. Mose 28-30 – und insbesondere zu 5. Mose 30,2-3 – richtigerweise schreibt, dass «Mose … eindeutig warnte» (S. 196), sollte man doch annehmen, dass Mose sich auch weiterhin eindeutig ausdrückte. Immerhin handelt es sich hier nicht um zufällig zusammengewürfelte Verse, sondern eindeutig um einen zusammenhängenden Abschnitt. Und doch wird 5. Mose 30,1-5 in den Bibelstellenverweisen von The Apocalypse Code nur zweimal in Fussnoten zitiert (S. 265, Fussnote 44, und S. 266, Fussnote 46) und spielt somit in Hanegraaffs Eschatologie kaum eine Rolle. Im vorherigen Zitat wurde 5. Mose 30,2-3 angeführt. Das ist sehr wichtig, denn dies sind die einzigen Verweise aus 5. Mose 30; oder anders ausgedrückt: Hanegraaff zitiert zwar 5. Mose 30,2-3, ignoriert aber völlig die unmittelbar vorhergehenden Verse 5. Mose 30,3-10. Das ist auch deshalb wichtig, weil 5. Mose 30 mit dem übereinstimmt, was Gott zuvor in 3. Mose 26,40-45 verheissen hatte. Wie schon zuvor hat Hanegraaff auch hier bereits zugegeben, dass Mose sich in diesem Abschnitt eindeutig ausgedrückt hat (S. 196). Man sollte annehmen, die folgenden Verse seien genauso geschrieben worden. Einfach gesagt ignoriert Hanegraaff eine höchst relevante Offenbarung Jahwes zur Zukunft sowohl des Volkes als auch des Landes Israel.

Gott wusste, dass Israel von Ihm abfallen würde; das offenbarte Er, noch bevor es in das Land einzog: «… denn ich kenne ihre Gedanken, mit denen sie jetzt schon umgehen, ehe ich sie in das Land bringe, das ich ihnen zugeschworen habe» (5.Mo 31,21). Johannes Sailhamer beschreibt diesen Abschnitt so: «Man kann in diesen Worten schon von ferne die Stimme der Propheten hören. Das Exil kommt. Die Zukunft ist gefährdet. Zu dieser Zeit ist wenig Hoffnung im Volk Gottes.» Während Jahwe also treu bleibt, wusste Er an eben diesem Tag schon, dass das Herz des Volkes bereits dabei war, sich von Ihm abzuwenden. Jedoch muss betont werden, dass Gott bereits offenbart hatte, was in 5. Mose 30,1-10 bekannt wurde: dass das Volk wegen seines offenen Ungehorsams schliesslich ins Exil gehen und unter die Völker zerstreut werden würde. Doch dazugab Gott Seine Verheissung, sie dann wieder zu sammeln und ihnen ein neues Herz zu geben. Offensichtlich sah Jahwe weit über den unmittelbaren Kontext von Josua 21 hinaus, wo Israel ja noch überwiegend im Bundesgehorsam Ihm gegenüber lebte und deshalb auch die Segnungen des Bundes genoss – sie lebten im Land und hatten Ruhe vor ihren Feinden, wie in 3. Mose 28 und 5. Mose 27-28 verheissen.

Von einem Auslegungsstandpunkt aus gesehen, der diese Verse als eindeutig erachtet und sie nicht aus dem unmittelbaren Zusammenhang reisst, trifft die unzweideutige Niederschrift Moses bzw. das Wort des Herrn genau den Punkt: Wenn das jüdische Volk Busse tut, dann wird Jahwe es tatsächlich zurückbringen – zunächst zu Ihm selbst und dann in das Land (5.Mo 30,2-3). Wenn es so weit ist, wird Jahwe Seine Verheissung erfüllen und das Volk als Teil der Erfüllung des abrahamitischen Bundes aus der Verbannung in das Land zurückbringen (3.Mo 26,40-45; 5.Mo 30,4-5). Um sicherzustellen, dass dies tatsächlich geschehen kann, wird Jahwe selbst dem Volk ein beschnittenes Herz geben, damit es den Herrn, seinen Gott, von ganzem Herzen liebt (5.Mo 30,6). In diesem Vers klingen unüberhörbar neutestamentliche Zwischentöne der Segnungen des Neuen Bundes durch. Später in der Schrift hat Gott diese Segnungen dann genauer skizziert. Weiter wird Jahwe genau die Flüche, mit denen Er Israel gestraft hat, auf die Nationen legen (5.Mo 30,7). Und zum Abschluss wird eine der Aussagen wiederholt – Er sagt genau diesem Volk, das Er mit dem Fluch belegt hat: «Du aber wirst umkehren und der Stimme des Herrn gehorchen und alle seine Gebote befolgen, die ich dir heute gebiete» (5.Mo 30,8). Dem geht wieder ein verbindendes «Dann» voran, das (wie schon von Hanegraaff erwähnt) in 5. Mose 30,2-3 erforderlich war (S. 197): «Und der Herr, dein Gott, wird dir Überfluss geben in allem Werk deiner Hände …» (5.Mo 30,9).

Besonders im Hinblick auf das Buch Josua ist festzustellen, dass zu der Zeit von Josua 21 noch keine einzige Aussage von 5. Mose 30,1-8 eingetreten war. Sowohl für 3. Mose 26 als auch für 5. Mose 30,1 gilt ausdrücklich die Bedingung, dass Israel leben muss «unter all den Heidenvölkern, unter die dich der Herr, dein Gott, verstossen hat». Diese Verbannung Israels war in Josua 21 noch nicht erfolgt; offensichtlich hatte das Volk bis dahin noch nicht in der Verbannung Busse getan (5.Mo 30,2) und Jahwe hatte sie noch nicht wieder aus der Gefangenschaft zurückgebracht (V 3). Israel als Ganzes war noch nicht «bis an das Ende des Himmels verstossen» (V 4); folglich hatte Jahwe es auch noch nicht wieder in das Land seiner Väter zurückgebracht (V 5). Davon abgesehen stand noch eine weitere gute Verheissung Jahwes aus: Er würde tatsächlich ihr Herz beschneiden, damit sie Ihm gehorchen könnten (V 6). Genauso hatte Jahwe zur Zeit von Josua 21,43-45 noch nicht «alle diese Flüche» auf ihre Feinde gelegt (5.Mo 30,7). Und ebenso wenig hatte Jahwe ihnen nach dem vorhergehenden Fluch Überfluss gemäss den zugesicherten Segnungen aufgrund ihres Bundesgehorsams gegeben (5.Mo 30,9-10). Einfach ausgedrückt: Es kann keineswegs nachgewiesen werden, dass zu der Zeit von Josua 21,43-45 alle diese guten Verheissungen Jahwes schon erfüllt worden wären; bis heute ist dies noch nicht einmal ansatzweise geschehen. Wie dem auch sei, Hanegraaff mag seine Leser noch so sehr anflehen, sich im Verständnis bestimmter Passagen von niemandes Eschatologie beeinflussen zu lassen, sondern einfach die offensichtliche Bedeutung des Textes für sich selbst sprechen zu lassen (S. 29) – so lässt doch seine eigene im Vorhinein festgelegte Theologie keinen Raum für die guten Verheissungen in 3. Mose 26,40-45 oder 5. Mose 30,4-10. Er lässt sie vielmehr weg, ignoriert sie und tut sie als eschatologisch irrelevant ab. Wie schon früher in dieser Serie gesagt, wurde das Lehrgebäude der Kirche wirklich ausgehöhlt.

Dieselbe Methode des selektiven Zitierens und des Weglassens anderer wesentlicher Verse wendet Hanegraaff auch auf das Buch Josua an. Zum Beispiel werden im Bibelstellenverzeichnis von The Apocalypse Code (S. 289) aus dem gesamten Buch Josua als einzige Stellen Josua 21,43.45 sowie 23,14 angeführt; diese werden im Buch auf einer einzigen Seite abgehandelt (S. 178). Hanegraaffs Argumentation lässt jeglichen Bezug auf Gottes Auftrag an Josua, das Land einzunehmen, gänzlich vermissen – einschliesslich des Hinweises auf den Euphrat (Jos 1,1-4). Ebenso wenig findet sich ein Hinweis auf die einleitende Erklärung Gottes im Abschnitt über die Landverteilung (Jos 13-21); in den ersten Versen dieses Abschnitts erklärt Gott selbst, dass ein grosser Teil des Landes noch nicht erobert war (Jos 13,1-7).

Von Greg Harris