07.09.2012

Vergessliche Christen

Jahrhunderte antisemitischen Denkens haben dazu geführt, dass vielerorts verdrängt wird, dass Jesus Christus als Jude in diese Welt kam, als Jude starb, als Jude auferstand, als Jude in den Himmel zurückkehrte und als Jude wiederkommen wird.

Dem Apostel Paulus, der ja der Heidenapostel war (Röm 11,13; Gal 1,16; 2,2.7), war es sehr wichtig, dies in seinem Brief an Timotheus hervorzuheben: «Halte im Gedächtnis Jesus Christus, aus dem Samen Davids, der aus den Toten auferstanden ist nach meinem Evangelium» (2.Tim 2,8).

Der 2. Timotheusbrief ist der letzte Brief des Apostels, den er kurz vor seinem Tod schrieb (2.Tim 4,6). Er ist sozusagen sein Vermächtnis, sein geistliches Testament. In einem Testament werden die Dinge erwähnt, die einem besonders am Herzen liegen und die man der Nachwelt noch mitteilen möchte. Paulus lag es unter anderem sehr am Herzen, darauf hinzuweisen, dass Jesus Christus aus dem Samen Davids stammt und diese Tatsache nicht in Vergessenheit geraten sollte. Wäre ihm das nicht wichtig gewesen, dann hätte der Satz gereicht: «Halte im Gedächtnis Jesus Christus», aber er fügt hinzu: «aus dem Samen Davids».

Der Brief richtete sich an Timotheus, der seinerzeit in Ephesus als geistlicher Leiter eingesetzt worden war (1.Tim 1,3). Das war die Gemeinde, über die der Herr später klagen würde: «Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast» (Offb 2,4).

Ach, dass doch die geistlichen Leiter von Gemeinden und theologischen Ausbildungsstätten vor Augen hätten, dass Jesus Christus aus dem Samen Davids kommt, und dass sie diese Wahrheit den ihnen Anvertrauten ins Gedächtnis rufen würden!

Es hat in der Kirchengeschichte viel zu wenig Beachtung gefunden und ist in «Vergessenheit» geraten, dass Jesus Christus der von Gott verheissene Erlöser ein direkter Nachkomme Davids aus dem Stamm Juda ist! Es scheint, als habe der Heilige Geist diese Ermahnung dem Heidenapostel Paulus aufs Herz gelegt, weil Er darum wusste, wie sehr diese Wahrheit in der Zukunft noch angefochten sein würde. Und tatsächlich ist genau das im Laufe der Zeit aus dem Gedächtnis vieler Christen verdrängt worden. Man kann aber Jesus nicht vom Judentum lösen. Diese Tatsache war Bestandteil des Evangeliums des Apostels Paulus. Es gehörte zu seiner Botschaft an die nichtjüdischen Völker und es war ihm ein Anliegen, dass dies in ihrer Erinnerung bleiben sollte. Die Jesu erwähnte Paulus auch in Römer 1,3: «Nämlich das Evangelium von seinem Sohn, der hervorgegangen ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch.»

Als Mensch geboren, ist Jesus ein Nachkomme König Davids und damit vollkommener Jude. Paulus legt wert auf die Tatsache, dass Jesus als wahrer Gott auch wahrer Mensch wurde und als wahrer Mensch wahrer Jude war. Daraus ergibt sich der Schluss, dass Er das jetzt nach Seiner Auferstehung immer noch ist: wahrer Mensch und wahrer Jude. Als der Herr Jesus auf diese Erde kam, entäusserte Er sich Seiner Gottheit, ohne dabei aufzuhören, Gott zu sein (Phil 2,6-7). Er wurde so sehr ganz Mensch, dass Er vollkommen abhängig war vom Vater im Himmel. Als der Herr wieder in den Himmel zurückkehrte, nahm Er im umgekehrten Sinn Seine zuvor entäusserte göttliche Stellung wieder ein, ohne jedoch Sein Menschsein abzulegen. Er kehrte als wahrer Gott und wahrer Mensch in das himmlische Vaterhaus zurück. Dort befindet Er sich heute als göttlicher und menschlicher Hohepriester und steht für Seine Gemeinde ein. 1. Timotheus 2,5 sagt deshalb: «Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus.»

Das ist – neben anderen biblischen Begründungen – der Hauptgrund, warum wir zu Israel stehen: Weil wir zu Jesus stehen, der Jude ist und als Jude wiederkommen wird.

Der erste Vers im Neuen Testament lautet: «Geschlechtsregister Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams» (Mt 1,1). Bei der Geburt Jesu triumphierte der Engel Gottes: «Denn euch ist heute in der Stadt Davids der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr» (Lk 2,11). In der Offenbarung wird Johannes mit der Zusage getröstet: «Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist, die Wurzel Davids, um das Buch zu öffnen und seine sieben Siegel zu brechen!» (Offb 5,5). Im letzten Kapitel der Bibel heisst es an die Gemeinde gerichtet über den wiederkommenden Herrn: «Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, um euch diese Dinge für die Gemeinden zu bezeugen. Ich bin die Wurzel und der Spross Davids, der leuchtende Morgenstern. … Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald!» (Offb 22,16.20).

Jesus ist im Himmel immer noch der Spross Davids, der als solcher zurückkehrt. Wie gefährlich es ist, das wahre Menschsein Jesu aus dem Auge zu verlieren, belegt 2. Johannes 7: «Denn viele Verführer sind in die Welt hineingekommen, die nicht bekennen, dass Jesus Christus im Fleisch gekommen ist – das ist der Verführer und der Antichrist.» Diese Bibelstelle wird verschieden übersetzt. Die Zürcher-Bibel schreibt: «Denn viele Verführer sind hinausgegangen in die Welt, die sich nicht zu dem im Fleisch kommenden Jesus Christus bekennen; das ist der Verführer und der Antichrist.» Menge übersetzt: «… die Jesus Christus nicht als den im Fleisch erscheinenden Messias bekennen.» Und in der unrevidierten Elberfelderübersetzung heisst es: «… die nicht Jesum Christum im Fleische kommend bekennen.»

Es geht nicht «nur» darum, zu leugnen, dass Jesus als wahrer und ewiger Gott ganz und gar Mensch geworden ist, sondern auch um die Verleugnung Seines Wiederkommens als Mensch. Kürzlich hörte ich jemanden sagen: «Wer denkt, dass Jesus wirklich wiederkommt, steht nicht im Glauben.»

Es ist eine antichristliche Haltung, Jesu leibliche Wiederkunft infrage zu stellen, sie zu vergeistigen oder sogar ganz zu verneinen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn der Antichrist sich das zunutze machen würde. Es ist möglich, dass er die leibliche Wiederkunft Jesu leugnen und sich selbst anstelle des wiederkommenden Christus stellen wird.

Auch Petrus weist auf die endzeitliche Gefahr hin, die Wiederkunft Jesu zu leugnen: «Dabei sollt ihr vor allem das erkennen, dass am Ende der Tage Spötter kommen werden, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheissung seiner Wiederkunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so, wie es von Anfang der Schöpfung an gewesen ist!» (2.Petr 3,3-4).

Der zweite Petrusbrief war, wie bereits der erste, an gläubige Juden gerichtet (1.Petr 1,1; 2.Petr 3,1). Der Ausdruck «die Väter» bezieht sich demnach auf die jüdischen Glaubensväter, die eine buchstäbliche Erscheinung des Messias erwarteten. Diese Wahrheit wird am Ende der Zeit angezweifelt werden und man wird sich sogar darüber lustig machen. Wird sich der Antichrist das zunutze machen, wird er vielleicht sogar der Initiator einer solchen Blasphemie sein, um das jüdische Volk zu verführen und sich dann selbst auf den Thron zu setzen? Wie dem auch sei, wir leben in einer Zeit, in der man immer weniger mit der leiblichen Wiederkunft des Herrn Jesus Christus rechnet. Warum? Weil wir in den letzten Tagen leben!

Von Norbert Lieth