01.03.2012

Warum gibt es Opfer im Tausendjährigen Reich?

Ein oft gehörter Einwand gegen die durchgängige wörtliche Auslegung biblischer Prophetie bezieht sich auf Hesekiels Vision vom zukünftigen Tempel (Hes 40-48). Gegner behaupten: Wenn es sich hier um einen tatsächlichen zukünftigen Tempel handeln würde, würde das eine Rückkehr zu den Opfergesetzen bedeuten, die Jesus Christus doch abgetan habe – schliesslich spreche der Prophet von «Sühne» («kiper»; Hes 43,13.27; 45,5.17.20). Das ist richtig! Kritiker halten das nach Hebräer 10 aber für einen gotteslästerlichen Widerspruch zum vollbrachten Erlösungswerk Christi. Hank Hanegraaff sagt, ich hätte «das Problem verschärft durch die Feststellung, ohne die Darbringung von Tieropfern würde im Tausendjährigen Reich die Heiligkeit Jahwes kompromittiert» und fügt hinzu: «Das ist aus mehreren Gründen eine Gotteslästerung.» Er sagt weiter, eine solche Sicht bedeute die Rückkehr «zu den Opfern des Alten Bundes».
«Ist es ketzerisch, zu glauben, dass es wieder einen Tempel und Opfer geben wird?», fragen dagegen John Schmitt und Carl Laney und sagen: «Hesekiel selbst glaubte, der Tempel sei Wirklichkeit und das zukünftige Zuhause des Messias. Demnach ist es keine Irrlehre, zu glauben, dass es wieder einen Tempel gibt, in dem Opfer dargebracht werden; es wäre eher beinahe eine Irrlehre, dies nicht zu glauben, besonders deshalb, weil das unfehlbare Wort Gottes es so sagt. Uns kommt es zu, herauszufinden, warum das so ist – und nicht, ob es tatsächlich so sein wird.» Mindestens vier andere Propheten bestätigen Hesekiels Opfersystem in einem Tempel des Tausendjährigen Reichs (Jes 56,7; 66,20-23; Jer 33,18; Sach 14,16-21; Mal 3,3-4); dies spricht für ein wörtliches Verständnis dieser Zukunftsvision Hesekiels.
Opfer des Neuen Bundes. Wir glauben nicht, dass die zukünftige Wiedereinführung von Opfern eine Rückkehr zum mosaischen Gesetz des Alten Bundes bedeutet. Christus hat das mosaische Gesetz für immer erfüllt und abgetan (Röm 6,14-15; 7,1-6; 1.Kor 9,20-21; 2.Kor 3,7-11; Gal 4,1-7; 5,18; Eph 2-3; Hebr 7,12; 8,6-7.13; 10,1-14). Im Tausendjährigen Reich wird der Neue Bund mit Israel zum geltenden Recht werden (5.Mo 29,4; 30,6; Jes 59,20-21; 61,8-9; Jer 31,31-40; 32,37-40; 50,4-5; Hes 11,19-20; 16,60- 63; 34,25-26; 36,24-32; 37,21-28; Sach 9,11; 12,10-14). Deshalb wird das keine Rückkehr zum Alten sein, sondern ein Weitergehen zum Neuen. «Denn wenn das Priestertum verändert wird, so muss notwendigerweise auch eine Änderung des Gesetzes erfolgen» (Hebr 7,12).
Das neue Gesetz des Tausendjährigen Reiches wird eine Mischung sein aus Geboten nach Art des mosaischen Gesetzes und völlig neuen Anordnungen, die sich nicht unter den 613 Geboten der Torah befinden; sie werden der Rechtsordnung des Neuen Bundes unterworfen sein. Jesus, der Messias, wird in Verbindung mit der Bundeslade körperlich anwesend sein, anstelle der Schechina, der Gegenwart bzw. Herrlichkeit Gottes. Eine neue priesterliche Ordnung der Söhne Zadoks (Hes 40,46; 43,19; 48,11) ersetzt das levitische Priestertum. Ein neuer und mit der Grundfläche einer Quadratmeile (zweieinhalb Quadratkilometern) wesentlich grösserer Tempel entsteht (Hes 40,48–41,26), anstelle des viel kleineren salomonischen Modells. Randall Price sagt dazu:
«Der vorhergehende Abschnitt über den Brandopferaltar (43,13-27) bezeugt die neuerliche Einrichtung des Opferdienstes; in den nachfolgenden Kapiteln (44-46) folgen Regeln für die levitischen Priester und die verschiedenen Opfer zur Sühne für Israel. Zwar werden erst in diesen Kapiteln ausführliche Anweisungen über den Opferdienst gegeben; dennoch finden sich in dieser Prophetie schon von Anfang an viele Hinweise auf die Praxis des Opferns (40,38-43.46-47; 41,22; 42,13-14). Dies ist kein Zufall, sondern unverzichtbar für ein umfassendes Verständnis der Vision Hesekiels in den Kapiteln 40-48. So gibt es ausser in Kapitel 47 in jedem dieser Kapitel eine Aussage zum Opferdienst – zum Beispiel: ‹Neumonde und Sabbate … alle Festzeiten› (Hes 44,24; 45,17; 46,3.11-12), ‹tägliche Opfer› (Hes 46,13-14), ‹Brandopfer, Speisopfer und Trankopfer› (Hes 45,17; 46,2.4.11-15), Blutopfer (Hes 43,20), einen ‹Altar› für das Brandopfer (Hes 40,47; 43,13-27), einen ‹Altar› für das Rauchopfer (Hes 41,22), ‹Kochstätten›, um ‹das Schlachtopfer des Volkes› zu kochen (Hes 46,23-24), ein Priestertum ‹aus den Söhnen Zadoks›, ‹und sie sollen vor mir stehen, um mir Fett und Blut zu opfern, spricht Gott, der Herr› (Hes 40,46; 42,13–14; 43,19; 44,15-16; 48,11), ein ‹levitisches› Priestertum, ‹um das Brandopfer zu schlachten› (Hes 44,10-11; 48,22). Ausserdem sollen Opfer gebracht werden ‹als Sündopfer› (Hes 43,22.25; 44,24.29) und ‹um Sühnung (zu) erwirken› (Hes 43,20; 45,25). Da in diesen Kapiteln so offensichtlich von Opfern und Opfer darbringenden Priestern die Rede ist, muss auch über die Opfer selbst gesprochen werden.»
Warum gibt es einen Tempel und Opfer? In der ganzen Schrift hat der Tempel immer denselben Zweck: Auf der (der Sünde unterworfenen) Erde soll eine Stätte errichtet werden, wo sich Gottes Gegenwart offenbart. Durch die dazugehörigen Rituale soll Gottes aussergewöhnliche Heiligkeit erkennbar werden. Zu Gottes Plan für Israel gehört auch, mittels eines Tempels eine Beziehung zu Ihm zu haben; Er will in der Mitte Seines Volkes wohnen. Gegenwärtig ist die Gemeinde Jesu dieser geistliche Tempel Gottes, der aus lebendigen Steinen gebaut wird (1.Kor 3,16-17; Eph 2,19-22). Im Tausendjährigen Reich wird das Rad der Geschichte insofern zurückgedreht, dass Israel das Mittlervolk Gottes sein wird; gleichzeitig gibt es immer noch Sünde auf Erden. Deshalb wird Gott in dieser kommenden Zeit einen neuen Tempel, ein neues Priestertum, ein neues Gesetz usw. etablieren, weil Er in Israel anwesend sein wird und weil Er immer noch die Menschheit lehren will, dass man sich Ihm nur in Heiligkeit nahen kann. Dem steht die Tatsache gegenüber, dass es in der Ewigkeit keinen Tempel geben wird (Offb 21,22); dann sind Gott selbst und das Lamm der Tempel – im Himmel gibt es keine Sünde und somit auch keine Notwendigkeit zur rituellen Reinigung.
Die detaillierten, peinlich genauen Anweisungen in Hesekiel 40-48 ähneln der Anweisung an Mose zum Bau der Stiftshütte und der Anweisung für den salomonischen Tempel. Diese Details verlieren jeglichen Sinn, wenn sie nicht wie die Stiftshütte und die ersten beiden Tempel wörtlich zu verstehen sind. Wären diese Details wirklich symbolisch gemeint, dann fänden wir eine Erklärung der Symbole – echte biblische Symbolik ist in der Regel erklärt. Weil aber der Text für eine nicht-wörtliche Auslegung keine Basis bietet, müssen solche Erklärungsversuche zu subjektivem Rätselraten mit den unterschiedlichsten Ergebnissen führen.
Nicht vergessen werden darf, dass die Opfer der levitischen Ordnung laut der Bibel «Sühnung erwirken» sollen (z.B. 3.Mo 4,20.26.31.35). Hätten diese Opfer damals tatsächlich die Sünden des Volkes gesühnt, was sie natürlich nicht leisten konnten, dann wären auch sie im Lichte des vollkommenen Opfers Christi Gotteslästerung gewesen. In Hebräer 10,4 lesen wir: «Unmöglich kann das Blut von Stieren und Böcken Sünden hinwegnehmen!»
Ausserdem: Wären diese früheren Handlungen wirksam gewesen, hätte es des ein für alle Mal gültigen Opfers Christi nicht bedurft.
Aber wenn sie Sünde nicht beseitigen können, was erreichen die früheren und die zukünftigen Opfer dann? Sie dienen der rituellen Reinigung der Priester, des Heiligtums und der Geräte. Nur das Opfer Christi am Kreuz kann wirklich von Sünde reinigen. Jerry Hullinger schlägt eine Lösung vor, die sich «… ehrlicherweise auf den Hesekiel-Text beschränkt und in keiner Weise das Werk Christi am Kreuz schmälert. Diese Studie weist darauf hin, dass die Tieropfer im Tausendjährigen Reich in erster Linie dazu dienen, von ritueller Unreinheit zu reinigen und den von Hesekiel geschauten Tempel vor Verunreinigung und Schändung zu bewahren. Dies ist notwendig, weil die herrliche Gegenwart Jahwes wieder auf Erden wohnen wird, inmitten eines sündigen und unreinen Volkes. Weil Gott verheissen hat, im Tausendjährigen Reich (so sagt es der Neue Bund) auf Erden zu wohnen, muss Er Seine Gegenwart durch Opfer schützen ... Weiter sollte hinzugefügt werden, dass dieses Opfersystem von zeitlich begrenzter Gültigkeit ist, insofern das Millennium (mit einer teilweise nicht verherrlichten Menschheit) nur eintausend Jahre lang währen wird.»
Wer diese Opfer im kommenden Tausendjährigen Reich ablehnt, nimmt wohl an, dass alle vergangenen und zukünftigen Opfer ausschliesslich Christi endgültiges Opfer für die Sünde symbolisieren würden. Doch dem ist nicht so! In der Bibel finden wir unterschiedliche Zielsetzungen für Opfer. Viele Opfer der mosaischen Ordnung dienten der rituellen Reinigung. Deshalb kann man die damalige Sühnung als wirksam bezeichnen und doch an der Notwendigkeit des damals noch bevorstehenden Opfers Christi festhalten; viele der Opfer erwirkten tatsächlich rituelle Sühnung, sie reinigten Menschen und Geräte im Dienst des Tempels. In Hesekiel 43,20 und 26 wird die Sühnung ausdrücklich zur Reinigung des Altars angeordnet, um diesen rituell zu reinigen. Auch die weiteren Sühneopfer sollen der Reinigung dienen, der Aufrechterhaltung ritueller Reinheit, um eine angemessene Anbetung zu gewährleisten (Hes 45,15.17.20).
Ein Gedenken. Viele, die eine wörtliche Auslegung dieser Opfer annehmen, glauben auch, dass sie als eine Art Gedenken für das ein für alle Mal gültige Versöhnungswerk Christi dienen würden. Allerdings halten Kritiker dies für eine fehlerhafte Schlussfolgerung. Den Aspekt des Gedenkens unterstützt unser derzeitiges Abendmahlsverständnis (1.Kor 11,23-26). Im mosaischen System – das wahrlich vorausschauend war – wurden verschiedene Opferarten ausdrücklich «zum Gedenken» dargebracht (2.Mo 30,16; 3.Mo 2,2.9; 5,12; 6,15; 24,7; 4.Mo 5,15.18.26). Diese Terminologie könnte tatsächlich die Grundlage für unser dem Gemeindezeitalter entsprechendes Abendmahlsverständnis bilden; Paulus betont die Erinnerung an den Tod des Herrn. Der mosaische Aspekt des Gedenkens unterstützt eindeutig diese Bewertung der zukünftigen Tempel-Opfer: Die Gläubigen des Tausendjährigen Reiches schauen dabei zurück auf die aufopfernde Erlösungstat Christi.
Fazit. Praxis und Zielsetzung der Opfer im Tausendjährigen Reich schmälern das vollbrachte Werk Christi nicht. Auch die wörtliche Auslegung dieser Passagen tut Jesu Werk keine Gewalt an. An keiner Stelle kommt Hesekiel 40-48 mit dem Tod Christi oder der Lehre des Neuen Testaments in Konflikt. Die angenommenen Widersprüche zwischen einem wörtlichen Verständnis der Prophetie Hesekiels und der Lehre des Neuen Testaments lösen sich in Luft auf, wenn man sie gezielt untersucht und in Einklang bringt. Obwohl im Tausendjährigen Reich wieder Opfer gebracht werden, werden dabei doch die Person und das Werk unseres Erlösers im Mittelpunkt stehen. Der Tempel des Tausendjährigen Reiches und sein Ritus werden zur täglichen Gedächtnisstütze dienen; nie soll die gefallene Menschheit ihren Mangel vor einem heiligen Gott vergessen und niemals die Lektionen, wie dieser selbe Gott sich voller Liebe daran macht, das Hindernis der menschlichen Sünde für die zu beseitigen, die Ihm vertrauen.
Maranatha!
Von Thomas Ice