01.11.2011

Entrückungszeitpunkt: Die letzte Posaune

Zur letzten Posaune kursieren viele Theorien. Ist es die siebte und letzte Posaune aus Offenbarung 11? Oder meinte Paulus etwas anderes?
An zwei Stellen im Neuen Testament erklärt der Apostel Paulus die Entrückung der Gemeinde und an beiden Stellen wird eine Posaune erwähnt (1.Kor 15,51-53; 1.Thess 4,16-17). Diese Posaune wird oft gleichgesetzt mit der siebten Posaune in Offenbarung 11. Wäre das der Fall, würde sich die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt der Gerichte Gottes noch auf der Erde befinden. Ist das wahr? Um einer Antwort näher zu kommen, sollten wir auch das historische Umfeld betrachten, in dem die Menschen lebten, an die der Apostel seinen Brief richtete.
Wir werden bald erkennen, dass Paulus das militärische Umfeld im Visier hatte und die Entrückung genau damit in Einklang brachte:
1. Das militärische Umfeld. Paulus schrieb an Heidenchristen in zwei römischen Provinzen (Thessalonich, Mazedonien; Korinth, Achaja), nicht in erster Linie an Juden (Paulus war Heidenapostel; Röm 11,13; 2.Tim 1,11). Wir müssen also berücksichtigen, dass Paulus seine Briefe an überwiegend heidenchristliche Gemeinden verfasste, die stark von Römern durchsetzt und von Rom beeinflusst waren. Sowohl die römische Kultur als auch das römische Militärwesen war ihnen bestens vertraut; es gehörte quasi zu ihrem Alltag. So heisst es zum Beispiel über Korinth, dass hier viele pensionierte römische Soldaten ihren Ruhesitz hatten: «Die römischen Soldaten erhielten nach Ablauf ihrer Dienstzeit das Bürgerrecht und bekamen in einer neugegründeten Stadt Grundbesitz zugewiesen, sodass sie sich dort niederlassen konnten. Derartige Kolonien gab es in allen Gegenden des römischen Weltreiches, und die altgedienten Soldaten, die sich durch treue Dienste Bürgerrecht erworben hatten, bildeten das Rückgrat dieser Städte.»
Paulus schreibt in seinen Ausführungen über die Entrückung von einer Posaune, die erschallt, ohne sie näher zu erklären. Warum fehlt die Erklärung? Vielleicht, weil sie gar nicht nötig war? Er wusste wohl um den römischen Hintergrund, mit dem die Einwohner Korinths und die Thessalonicher bestens vertraut waren. Sie kannten die Gepflogenheiten der römischen Armee sehr gut, lebten doch viele Veteranen unter ihnen und waren sie doch ständig von römischen Truppen umgeben. Das Buch der Offenbarung war noch nicht geschrieben; es musste sich bei der Schilderung der Posaunen also um etwas handeln, womit die Heidenchristen vertraut waren.
Wenn der Herr kommt, wird die Posaune erschallen. Die Posaune bzw. Trompete war im römischen Militär ein wichtiges Signalinstrument und wurde täglich zur Befehlsmitteilung gebraucht. Der griechische Historiker und Geschichtsschreiber Polybios beschreibt unter anderem den «Ausmarsch des Heeres in der Republik» wie folgt: «Der Aufbruch aus dem Lager geht folgendermassen vor sich. Nach dem ersten Signal brechen sie die Zelte ab und packen ihr Gepäck. Übrigens darf niemand ein Zelt aufschlagen oder abbrechen, ehe dies mit den Zelten der Tribunen und des Feldherrn geschehen ist. Beim zweiten Signal legen sie das Gepäck auf die Lasttiere, beim dritten müssen die ersten antreten und das ganze Lager sich in Bewegung setzen.» 
Vor dem Hintergrund dieser Beschreibung ist es interessant, dass es in 1. Thessalonicher 4,16-17 heisst: «… und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zusammen mit ihnen entrückt werden in Wolken …»
Das dritte Signal war das letzte. Ist es nicht möglich, dass der Apostel seine Botschaft über die Entrückung auf dieses, für die Empfänger des Briefes vertraute Hintergrundwissen aufbaute?
2. Die Ordnung. Wenn der Apostel im 1. Korintherbrief über die Auferstehung und Entrückung spricht, schreibt er in diesem direkten Zusammenhang von einer bestimmten Ordnung: «Denn gleichwie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in seiner Ordnung: Als Erstling Christus; danach die, welche Christus angehören, bei seiner Wiederkunft; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, wenn er jede Herrschaft, Gewalt und Macht beseitigt hat» (1.Kor 15,22-24).
Wörtlich steht für «Ordnung» der Begriff «Abteilung». Dieser wiederum hatte Paulus der Militärsprache entnommen und war ein gängiger militärischer Ausdruck. Jeder, der im Militär gewesen ist, kennt zum Beispiel den Befehl: «Abteilung halt!» Wenn also Paulus in seinem Auferstehungs- bzw. Entrückungskapitel die Militärsprache zugrundelegt, dann können wir auch die letzte Posaune in diesem Zusammenhang sehen (V 52), was eindeutig in diesen Kontext passt.
3. Ein Befehl. Im Entrückungskapitel des 1. Thessalonicherbriefs schreibt Paulus von einem Befehl: «Denn der Herr selbst wird, wenn der Befehl ergeht … vom Himmel herabkommen» (1.Thess 4,16). Auch dieser Ausdruck kommt aus der Militärsprache.
4. Die Stimme des Erzengels. «… und die Stimme des Erzengels …» (1.Thess 4,16). Auch diese Aussage kann mit der damals gängigen Militärsprache verglichen werden, wie wir im nächsten Punkt sehen.
5. Die Posaune bzw. Trompete. «… und die Posaune Gottes erschallt» (1.Thess 4,16). Sicher nicht umsonst spricht Paulus hier von einem Befehl, der unmittelbar verbunden ist mit der Stimme des Erzengels und dem Schall der Posaune. Hier wird die Befehlssprache erwähnt, die im römischen Militär gang und gäbe war: 1. der Regierungsbefehl, 2. der Ruf eines Offiziers, 3. der Posaunenstoss zur Befehlsübermittlung an das Heer, wobei die dritte Posaune den Abmarsch signalisierte.
Doch noch etwas fällt in diesem Zusammenhang auf, nämlich:
6. Die Militärrüstung. Der Apostel erwähnt im Anschluss an die Entrückung und die Erklärung, dass die Gemeinde nicht zur Nacht des Tages des Herrn gehört, Folgendes: «Wir aber, die wir dem Tag angehören, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Brustpanzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. Denn Gott hat uns nicht zum Zorngericht bestimmt, sondern zum Besitz des Heils durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit wir, ob wir wachen oder schlafen, zusammen mit ihm leben sollen. Darum ermahnt einander und erbaut einer den anderen, wie ihr es auch tut!» (1.Thess 5,8-11). Die Worte «Brustpanzer» und «Helm» entstammen wieder dem römischen Militär, nämlich der Militärrüstung.
7. Das Militärzelt. Es ist diesbezüglich auch nicht ohne Bedeutung, dass Paulus den Abbruch des Zeltes, der ebenfalls aus dem Militärwesen stammt, explizit für die Entrückung gebraucht, wenn er schreibt: «Denn wir wissen: Wenn unsere irdische Zeltwohnung abgebrochen wird, haben wir im Himmel einen Bau von Gott, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist. Denn in diesem Zelt seufzen wir vor Sehnsucht danach, mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet zu werden – sofern wir bekleidet und nicht unbekleidet erfunden werden. Denn wir, die wir in dem Leibes-Zelt sind, seufzen und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, sodass das Sterbliche verschlungen wird vom Leben. Der uns aber hierzu bereitet hat, ist Gott, der uns auch das Unterpfand des Geistes gegeben hat» (2.Kor 5,1-5).
Damals lebten die Menschen nicht mehr in Zelten, wohl aber die Soldaten. Paulus vergleicht den Leib mit einem Zelt (Soldatenzelt?) und er möchte viel lieber überkleidet, das heisst entrückt, werden, als entkleidet, was sterben bedeuten würde. Das ist die Sehnsucht jedes Christen; und wenn Paulus diese Sehnsucht schon damals hatte, wie viel mehr dürfen wir sie dann heute haben.
Wenn der Apostel die Militärposaune vor Augen hatte, um die Entrückung zu erklären, dann meinte er wahrscheinlich die dritte Posaune (Trompete); und wenn er diese meinte, dann sind die sieben Posaunen aus der Offenbarung 8-11 völlig andere.
Von Norbert Lieth